Memory Prediction Experiment Memory Prediction Test

 

Das haben wir 47 Leute auf der re:publica 2013 gefragt, woran sie sich in 6 Monaten erinnern werden, wenn sie an die Konferenz zurückdenken werden.

Sie haben uns also eine Voraussage über ihre späteren Erinnerungen gegeben. Von diesen 47 Leuten haben 27 uns nach 6 Monaten gesagt, woran sie sich tatsächlich erinnern.

 

 

Was haben wir mit den Daten gemacht?

Zunächst haben die Antworten von der re:publica (1. Runde) und die Antworten, die wir sechs Monate später per Mail bekommen haben (2. Runde), miteinander verglichen. Dabei haben wir geschaut, inwieweit sie sinngemäß übereinstimmten. Reihenfolge oder genaue Formulierung spielten also keine Rolle. Dann haben wir die Übereinstimmung der Antworten folgendermaßen bewertet (Natürlich können wir nicht ausschließen, dass jemand ggf, dasselbe meinte, es aber so anders formuliert hat, dass wir den Zusammenhang nicht erkennen konnten.)

 

 

  • keine Übereinstimmung 11% (3)chart
  • mind. 1 Übereinstimmung oder ähnliche Antwort 44% (12)
  • Überwiegende Übereinstimmung oder überwiegend ähnliche Antworten 26% (7)
  • komplette Übereinstimmung 19% (5)

 

Damit haben immerhin 89% mindestens eine Erinnerung richtig vorhergesagt.

Andererseits lag knapp die Hälfte der Teilnehmer in ihren Voraussagen richtiger (2-3 übereinstimmende Antworten) als die andere Hälfte. Wir fragten uns, woran das liegen könnte. Also haben wir nach Korrelationen gesucht. Vielleicht haben die Art der Erinnerungen oder der Grad der Spontaneität einen Einfluss?

Der Grad der Sponaneität

Wir hatten in der ersten sowie in der zweiten Runde gefragt, wie spontan oder überlegt die Antworten auf einer Skala von 1-4 waren. Während immerhin 41% der Teilnehmer bei der Befragung auf der re:publica angaben, dass sie überlegt oder eher überlegt geantwortet hatten, bezeichneten bei der 2. Befragung per Email nur 19% ihre Antworten als überlegt oder eher überlegt.

Wenn man nun schaut, ob der Grad der Spontaneität einen Einfluss auf die Übereinstimmung zwischen den vorhergesagten und tatsächlichen Erinnerungen hat, muss man feststellen, dass es überhaupt keinen Zusammenhang gibt.

Kurz: Es scheint völlig wurscht zu sein, ob man vorher oder nachher genau überlegt, wie man antwortet.

Vorhersagen über die Qualität der ursprünglichen Vorhersage

Nachdem die Teilnehmer in der 2. Runde angegeben hatten, woran sie sich tatsächlich erinnern, hatten wir noch gefragt, inwieweit sie glauben, dass ihre Antworten mit ihren Voraussagen übereinstimmen werden. Sie haben hier also eine Vorhersage über die Qualität ihrer ursprünglichen Vorhersage gemacht. Das haben wir korreliert mit dem tatsächlichen Grad der Übereinstimmung und die Antworten folgendermaßen bewertet:

  • ganz genau richtig.
  • fast richtig.
  • eher nicht richtig.
  • komplett daneben.

Angenommen jemand hat in der ersten Runde gesagt, dass er sich an "Hund, Katze, Maus" erinnern wird. Nach sechs Monaten hat er als Erinnerungen "Hund, Katze, Schlange" genannt. Und er hat gesagt, dass er glaubt seine Voraussage würde überwiegend mit seinen Erinnerungen übereinstimmen. Dann läge er damit ganz genau richtig.

Hier gab es eine kleine Überraschung. Denn 92% lagen mit ihrer ihrer eigenen Einschätzung über die Qualität ihrer Vorhersage richtig (ganz genau oder fast richtig). Das ist insofern bemerkenswert, da jeder Kriminalist bestätigen kann, dass Menschen sich einer Erinnerung sehr sicher sein können, auch wenn diese überhaupt nicht zutrifft oder mit ihrer ursprünglichen Aussage nicht übereinstimmt. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Situation, in der wir uns erinnern (z.B. Design dieses Experiments vs. Zeugenaussage) einen wesentlichen Einfluss, darauf hat, wie wir unsere eigenen Erinnerungen beurteilen.

Woran sich die Teilnehmer erinnert haben

Da wir immer noch nicht wussten, was denn nun den Unterschied in den Übereinstimmungen ausmacht, haben wir uns die Antworten genauer angesehen. Gibt es vielleicht bestimmt Arten von Erinnerungen, die sich als dauerhafter erweisen als andere?

Nun wird jeder, der sich mal mit qualitativer Forschung beschäftigt hat, ahnen, dass es an dieser Stelle reichlich wurstig wird. Denn wie soll man das schließlich auswerten? Im Prinzip kann man sich nur die Antworten immer wieder ansehen und versuchen, übergeordnete Kategorien zu finden, die geeignete Unterscheidungsmerkmale bilden können. Dabei muss man häufig neue Begriffe finden und diese im Rahmen der Auswertung definieren, da man Erinnerungen nicht in Alltagsbegriffe, wie Hund, Katze, Maus einteilen kann. Die schriftliche Antwort gibt die subjektive Bedeutung und den Erinnerungsgehalt nur verkürzt wieder und kann gleichzeitig mehrdeutig sein, also in mehrere Kategorien fallen.

Wir sind keine Wissenschaftler, und vermutlich kann man das alles besser machen. Trotzdem haben wir mal bestimmte Merkmale zusammengefasst, die sich uns bei der Betrachtung der Antworten aufgedrängt haben.

Ich Erleben: Die Beschreibung einer Situation oder Tätigkeit, bei der das Erleben der eigenen Person einen besonderen Fokus erhält (“Mein erster Vortrag”)

Sensorische Konzepte: Alle Inhalte bzw. abstrakte Konzepte, die mit spezifischen visuellen, auditiven, haptischen, etc. Wahrnehmungen (“sensations”) verbunden sind. (“Blauer Kubus”, “Stand von Firma XY”, “großer Innenraum”)

Sensorisches Erleben: Die Beschreibung von Wahrnehmung ohne weitere Abstraktion, spezifische Emotion oder Werturteil (“es war warm/kalt”)

Emotionen: Reine Gefühlsäußerungen oder Werturteile, die einen spezifisch positiven oder negativen Empfindungscharakter haben (“war toll/doof”)

Soziale Interaktion: Begegnung und Kommunikation mit persönlich bekannten oder vollkommen unbekannten Personen

Personen: Die Erinnerung an (häufig bekannte, aber nicht persönlich) bekannte Personen. Häufig als Repräsentanten von Konzepten oder als Wiedererkennung / Reminder an früher erlebte Kontexte.

Abstrakte Konzepte: Begriffe, Modelle oder Vorstellungen als Repräsentanten von Zusammenhängen, Narrative, Memes (z.B. Inhalte von Vorträgen, Geschäftsmodell einer Firma, “Pop und Politik”)

Gedanken: Rationalisierungen von Erleben oder Wahrnehmung ohne sensorische oder emotionale Aussageeigenschaften, häufig eine Art des Selbstgespräches (“keine Ahnung”, “dass ich etwas gelernt habe”)

Welche Erinnerungen sich als dauerhafter erweisen als andere, können wir auf individueller Ebene nicht sagen. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass sie manche Teilnehmer eher an soziale Interaktionen, manche eher an Konzepte und manche eher an sensorische Eindrücke erinnern, auch wenn die spezifischen Inhalte deutlich von der Vorhersage abweichen. Wir können aber sagen, welche Art von vorhergesagten und tatsächlichen Erinnerungen insgesamt wie häufig auftritt. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede.

Das war das Ergebnis

chart (1)

Während also bei der Befragung auf der re:publica selbst Personen und sensorische Konzepte häufiger vorkamen, nahmen in den späteren Erinnerungen Emotionen, sensorisches Erleben und soziale Interaktionen eine wesentliche größeren Raum ein als vorhergesagt.

Wie interpretieren wir nun diese Ergebnisse?

Was wir schon vorher wussten, ist, dass sich das, was wir im Moment für relevant halten deutlich von dem unterscheidet, was in unserer Erinnerung Relevanz erhält. Die ursprüngliche Idee zu dem Experiment kam eigentlich auf, weil wir uns an einen TEDtalk von Daniel Kahnemann erinnert (sic!) haben, in dem es eigentlich um Happiness geht. Er spricht über den Unterschied zwischen Experiencing Self und Remembering Self und über “future as anticipated memories”.

Wir wollten einfach mal sehen, was dabei herauskommt, wenn Leute tatsächlich ihre eigenen Erinnerungen vorhersagen sollen. Ob die Tatsache, dass wir die Teilnehmer unseres Experimentes gefragt haben, Einfluss auf ihre Erinnerungen hatte, können sie wohl nur selbst beantworten. Aber vielleicht lohnt es sich ja, öfter mal darüber nachzudenken, was von dem, was ich gerade gern oder ungern erlebe, später im positiven Sinne relevant für mich sein wird. Oder andersherum: Wie kann ich dafür sorgen, dass ich meine Aufmerksamkeit auf das richte, was auch später für mich in einem positiven Sinn relevant sein wird?

Unsere Empfehlungen

Dazu ein paar (nicht sooo ernstgemeinte) Empfehlungen im Hinblick auf die nächste re:publica:

Für Leute, die inhaltlich möglichst viel von einer Konferenz mitnehmen wollen.

Von mindestens einer Person wissen wir, dass sie gar nicht vor Ort gewesen ist, sondern die re:publica online verfolgt hat. Diese Person hat unserem Eindruck nach inhaltlich dauerhaft am meisten von der Konferenz mitgenommen. Daher lautet unser Rat an diese Zielgruppe: Bleibt zuhause, guckt euch die Videos an, schreibt sofort einen Blogpost und teilt diesen auf Twitter, solange der Buzz noch heiß ist.

Der Grund ist vermutlich trivial. Wer genügend Motivation für ein Thema hat, um sich einstündige Keynotes zuhause vor dem Rechner anzugucken, hat von vornherein bessere Voraussetzungen um Inhalte zu memorieren als derjenige, der sich in Track 1 den Talk anhört, weil er gerade zu faul ist zum Aufstehen oder auch als derjenige, der trotz inhaltlichen Interesses durch Bratwurstgeruch und alte Bekannte der Ablenkung anheimfällt.

Für alle, die trotzdem hingehen, gilt:

Machen oder Mitmachen! Wer sich später nicht nur an irgendwelche Trendgetränke oder die angeschickerte Kollegin erinnern will, hält am besten selbst einen Vortrag, gibt einen Workshop oder macht so ein lustiges Experiment wie wir. Soweit zum Machen. Nun zum Mitmachen: Im Workshop immer fleißig melden, nach der Keynote fragen stellen, eifrig mitschreiben, sofort verbloggen oder twittern und die Resonanz nutzen, um das Thema mit anderen zu vertiefen. Da kommen nämlich mindestens zwei vorteilhafte Faktoren zusammen: Soziale Interaktion und Emotionen.

Für die Vortragenden gilt:

Am Besten ist es natürlich, wenn dich vorher eh schon jeder kennt (Sascha Lobo). Falls das nicht Fall ist, gilt es sensorische Reize zu nutzen, um deine Inhalte erinnerungstechnisch aufzuladen. Nun will sich vielleicht nicht jeder eine Kamera in den Hinterkopf operieren lassen (Cyborg). Manchmal tut es aber auch eine interessante Frisur (schon wieder Lobo!) oder bestechende visuelle Symbole (# … pfft.) Besonders wirksam aber dürften Mitmachelemente sein wie z.B. ein Quiz, in dem es für die Teilnehmer auch mal peinliche Momente geben darf (Herm und Nilz: Das Internet - Der Preis). Denn hier kommen abstrakte Konzepte, sensorisches Erleben, Ich-Erleben, soziale Interaktion und intensive und zudem ausgesprochen ambivalente Emotionen für die Teilnehmer zusammen.

In diesem Sinne: Bis zum nächsten Mal in Berlin!

Denken – Handeln – Zuversicht! Euer Humanist Lab